FAQ: Betriebliche Übung
Die Definition für eine betriebliche Übung im Arbeitsrecht ist, dass ein Arbeitgeber regelmäßig bestimmte Verhaltensweisen wiederholt, sodass der Arbeitnehmer zu Recht daraus Rechtsansprüche für die Zukunft ableiten darf, so wie u. U. Gewährung von Urlaub.
Das Arbeitsschutzgesetz oder andere Gesetze regeln sie nicht. Allerdings wird die betriebliche Übung durch die Rechtsprechung definiert. Voraussetzungen sind danach, dass die Leistung regelmäßig und wiederholt gewährt wird sowie dass der Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, dass der Arbeitgeber sich für die Zukunft binden will. Letzteres obwohl er weiß, dass er die gegenständliche Leistung nicht gewähren muss.
Ein Beispiel ist eine jährliche Sonderzahlung wie ein Weihnachtsgeld. Wenn der Arbeitgeber dieses drei Jahre lang in derselben Höhe oder aufgrund derselben Berechnungsgrundlage zahlt, kann eine betriebliche Übung entstehen.
Inhalt
Betriebliche Übung im Arbeitsrecht: Eine Definition
Die Betriebsübung oder auch betriebliche Übung ist laut Definition eine regelmäßige Wiederholung gleichförmiger Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aufgrund derer die Arbeitnehmer sich auf eine gewisse Verbesserung ihrer Rechte verlassen können. Doch was ist darunter zu verstehen, was sind Beispiele dafür und was ist eine sogenannte betriebliche Übung im Arbeitsrecht? Was bedeutet betriebliche Übung im Arbeitsvertrag? Wir geben Ihnen die Antworten in unserem Ratgeber.
Der Arbeitsrechtler sieht die betriebliche Übung als anspruchsbegründend. Das bedeutet, dass Arbeitnehmer einen Anspruch aus dieser ableiten können. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts definiert die betriebliche Übung als
regelmäßige Wiederholung bestimmter gleichförmiger Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aufgrund derer die Arbeitnehmer darauf vertrauen können, dass ihnen eine bestimmte Vergünstigung auf Dauer gewährt wird (BAG-Urteil vom 12. Januar 1994, Az. 5 AZR 41/93).
Ab wann ist eine betriebliche Übung anspruchsbegründend?
Im Arbeitsrecht begründet eine betriebliche Übung einen Anspruch auf eine bestimmte Leistung oder einen Vorteil, wenn der Arbeitgeber mindestens dreimal diese Leistung ohne Vorbehalte gewährt hat. Das gilt allerdings nur, wenn die Leistung weder vertraglich vereinbart, noch vorgeschrieben ist, also weder im Arbeitsgesetz, in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung.
Die begründeten Ansprüche sind zwar nicht vertraglich festgehalten, werden allerdings zum Inhalt des Arbeitsvertrages. Die Ansprüche aus der Betriebsübung stehen nicht auf der Ebene einer Betriebsvereinbarung oder eines Tarifvertrages, sondern der eines Arbeitsverhältnisses und eines Arbeitsvertrages. Ein kollektiver Bezug ist auch ein Merkmal dieser Übung; denn sie bezieht sich selbst auf eine Vielzahl von Arbeitnehmern oder auf eine abgrenzbare Gruppe von Angestellten (sogenanntes Kollektiv wie beim kollektiven Arbeitsrecht) (Vgl. BAG Urteil vom 11.04.2006 – 9 AZR 500/05). Dies gilt jedoch allerdings nur, wenn für die gleiche Leistung eben kein Arbeitsvertrag bereits Bestimmungen festlegt.
Was sagt die Rechtsprechung zur betrieblichen Übung?
Es gibt auch kein Gesetz, welches die betriebliche Übung regelt. Vielmehr hat die Rechtsprechung diesen Begriff geprägt. Sie nimmt an, dass nach einer mindestens über drei Jahre hinweg wiederholten Zahlung in gleichförmiger Weise eine betriebliche Übung entsteht. Ab dem vierten Jahr können Arbeitnehmer also eine entsprechende Leistung beanspruchen. Das heißt, dass wenn der Chef über diese Zeit eine gewisse Leistung gewährt hat, er diese nicht einfach plötzlich einstellen kann. Weiter führt die Rechtsprechung aus:
Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, dass von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen. Entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs ist nicht der Verpflichtungswille sondern wie die Erklärungsempfänger, die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitsgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen mussten und durften (BAG, Urteil vom 17.03.2010 – 5 AZR 317/09).
Verständlich zusammengefasst: Diese Aussage des BAG bedeutet, dass der Arbeitgeber in der Gewährung der regelmäßigen Leistungen ein Angebot abgibt, was der Arbeitnehmer dann annimmt. Es entsteht also quasi ein rechtlicher mündlicher Vertrag. Dabei ist entscheidend, wie der Arbeitnehmer das Verhalten des Arbeitnehmers unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles deuten konnte. Ob eine betriebliche Übung entstanden ist, hängt also stets vom Einzelfall ab.
Wie können Arbeitgeber die betriebliche Übung verhindern oder beseitigen?
Ist die betriebliche Übung erst einmal entstanden, dann haben Arbeitgeber die Pflicht, diese Leistung auch in Zukunft zu erbringen. Arbeitgeber können die Entstehung einer betrieblichen Übung durch folgende Handlungen verhindern:
- Es besteht die Möglichkeit, dass sie einen sogenannten Freiwilligkeitsvorbehalt erklären. Dies ist ein einschränkender Zusatz, der klar stellt, dass mit dieser Leistung oder Tätigkeit kein Rechtsanspruch für die Zukunft begründet wird.
- Weiterhin könnten sie darauf achten, dass die von ihnen gewährte Vergünstigung nicht regelmäßig geleistet wird, da dann keine betriebliche Übung entstehen kann. Wenn die Zahlung regelmäßig ist, aber nur in schwankender Höhe, entsteht trotzdem eine Betriebsübung, wie das BAG im Urteil vom 13.05.2015 Az. 10 AZR 266/14 entschied. Dann kann der Arbeitgeber aber nach billigem Ermessen entscheiden, wie hoch der Anspruch ist.
Um den erst einmal entstandenen Anspruch zu beseitigen, müssen die Arbeitgeber Folgendes machen:
- auf eine einvernehmliche Aufhebung der Betriebsübung drängen
- zur Not eine Änderungskündigung aussprechen
- die betriebliche Übung widerrufen, aber nur, wenn er zuvor ausdrücklich und unmissverständlich einen Widerrufsvorbehalt erklärt hat
Der Arbeitgeber kommt seit einer Entscheidung des BAG vom 18.03.2009 (Az. 10 AZR 281/08) nicht von der betrieblichen Übung los, indem er eine abändernde Betriebsübung schafft, also die Leistung mit einem Hinweis versieht, dass der Rechtsanspruch in Zukunft nicht mehr fortbesteht.
Betriebliche Übung: Typische Beispiele
Um dieses arbeitsrechtliche Prinzip besser verstehen zu können, bietet es sich an, einige Beispiele anzuschauen. Für die betriebliche Übung ist das Beispiel, was sehr häufig in Unternehmen Anwendung findet, die Gewährung eines Weihnachtsgeldes. Zahlt der Arbeitgeber dieses ohne Anmerkungen, so können sich Arbeitnehmer darauf verlassen, dass er es auch in den nächsten Jahren zahlen wird. Das Weihnachtsgeld oder auch 13. Monatsgehalt ist die betriebliche Übung, die viele Unternehmen pflegen. Aber nicht nur die Zahlung an sich, sondern auch weitere Einzelheiten zu dieser Sonderzahlung können in der Art und Weise gefestigt werden.
Als betriebliche Übung kann beim Weihnachtsgeld auch die Höhe bestimmt werden. Gewährt der Arbeitnehmer über mehrere Jahre lang diese Zahlung in einer bestimmten Höhe oder berechnet sie immer in derselben Art und Weise, entsteht eine betriebliche Übung für das Weihnachtsgeld und dessen Höhe. Es gibt aber auch hier Möglichkeiten, wie der Arbeitgeber seine Pflicht zur Zahlung von regelmäßigem Weihnachtsgeld verhindert. Die betriebliche Übung kann er ausschließen, indem er auch bei Zahlung des 13. Gehalts einen Freiwilligkeitsvorbehalt erklärt (siehe weiter oben).
Weitere Beispiele:
- Eine betriebliche Übung kann bezüglich Urlaubsgewährung entstehen, z. B. wenn freie Tage gewährt werden, wie der 24. Dezember des Jahres.
- Die Gestattung privater E-Mail- oder Internetnutzung kann bei längerfristiger Billigung einen Anspruch darauf begründen.
- Die Anwendung bestimmter Tarifverträge kann ebenfalls eine Betriebsübung darstellen.
- Die Gewährung von Jubiläumszuwendungen ist unter Umständen als betriebliche Übung einzuordnen.
- Ebenso kann die Zahlung von Essens- oder Fahrtkostenzuschüssen sowie ein Tankgutschein eine betriebliche Übung bilden.
- Die Übernahme von Fortbildungskosten kann unter diese Übung fallen.
- Bei einer Leistung der betrieblichen Altersvorsorge besteht genauso die Möglichkeit einer Betriebsübung.
- Eine Erholungsbeihilfe kann eine betriebliche Übung bilden. (Darunter fallen Leistungen für eine Erholungskur oder einen Erholungsurlaub.)
- Eine Bonuszahlung stellt eine betriebliche Übung dar, wenn die Umstände darauf hindeuten, dass der Arbeitgeber diese Leistung regelmäßig zahlen wollte.
- Eine betriebliche Übung bezüglich einem Gehalt und einer Gehaltserhöhung ist möglich. (Es entsteht jedoch nicht, wenn der Arbeitgeber nur einer Pflicht bpsw. aus Tarifvertrag nachkommen möchte)
Entsteht eine betriebliche Übung in Bezug auf die Arbeitszeiten?
Eine betriebliche Übung für bestimmte Arbeitszeiten gibt es allerdings nicht ohne Weiteres. Dass die Einteilung und Lage der Arbeitszeit durch eine betriebliche Übung geregelt wird, unterliegt ein paar Hürden. In einem Fall vor dem LAG Thüringen (Thüringer LAG, Urteil vom 21.02.2018 – 6 Sa 110/17) zum Beispiel wurde ein Arbeitnehmer 13 Jahre lang jeden Samstag zur Arbeit eingeteilt. Der Arbeitgeber stellte diese Praxis im 14. Jahr ein.
Als der Arbeitnehmer sich dagegen wandte und klagte, entschied das Gericht, dass allein als der Beibehaltung einer betrieblichen Regelung hinsichtlich Ort und Zeit der Arbeitsleistung über einen gewissen Zeitraum hinweg der Arbeitnehmer nach Treu und Glauben nicht auf den Willen des Arbeitgebers vertrauen kann, dass dieser die Regelung auch in Zukunft so unverändert weiter führen werde. Dafür seien weitere besondere Umstände erforderlich, die auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen lassen.
Das Gericht entschied dementsprechend, weil grundsätzlich im Hinblick auf die Arbeitszeit die konkreteste Regelung im Arbeitsvertrag zu finden ist. Tarifvertragliche Regelungen und bestehende Betriebsvereinbarungen gehen arbeitsvertragliche Regelungen sogar noch vor. Zum Schutz des Arbeitnehmers bilden gesetzliche Arbeitszeitregelungen den Rahmen. Nur wenn hier keine Vereinbarung dazu getroffen ist, kann eine betriebliche Übung die genaue Arbeitszeit ergänzen. Dafür muss der Arbeitgeber über einen längeren Zeitraum die Arbeitszeiten vorgeben.
Die Entscheidung, ob eine betriebliche Übung entstanden ist, ist allerdings immer im Einzelfall zu entscheiden. Dabei ist stets zu beachten, dass dem Arbeitgeber ein Weisungsrecht nach § 106 Satz 1 GewO zusteht, nach dem er Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen bestimmen kann. Selbst wenn er die Arbeitszeit lange nicht selbst ändert, hat er ein berechtigtes Interesse daran, die Arbeitszeit flexibel anpassen zu können. Ist ein Betriebsrat Teil des Betriebs, hat dieser ein Mitbestimmungsrecht über die Lage und die Verteilung der Arbeitszeit.
Reisekosten, Pausenzeiten und Co. – Kann hier eine Betriebsübung entstehen?
Eine betriebliche Übung bezüglich Reisekosten hingegen entsteht nur selten. Mit deren Zahlung handelt der Arbeitgeber nicht im Rahmen der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen, da es sich um eine rein private Tätigkeit des Arbeitnehmers handelt. Daher sei es gar nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich hier verpflichten wollte (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22.09.2005 – 4 Sa 359/05)
Eine betriebliche Übung bezüglich Pausenzeiten kann auch nicht allzu leicht entstehen; auch in Bezug auf die Anrechnung der Pausen auf die Arbeitszeit beispielsweise geht das grundsätzlich nicht. Ob eine betriebliche Übung entstanden ist, wird im Einzelfall entschieden. Dabei ist sie besonders für die Fälle auszuschließen, in denen für den Empfänger deutlich wird, dass die erbrachte Leistung nicht als überobligatorische Leistung, sondern in Erfüllung einer Verpflichtung erfolgt ist. Wollte der Arbeitgeber also vermeintlich einer Pflicht nachkommen, entsteht keine Betriebsübung. In Hinblick auf die Pausenzeiten kann das der Fall sein, wenn er nach den Dienstanweisungen handelte, die Pausenzeiten in die Arbeitszeit einordnet.
Ist Homeoffice eine betriebliche Übung?
Eine betriebliche Übung für das Homeoffice kann sich ebenfalls ergeben. Das heißt hier, dass der Arbeitnehmer bereits lange Zeit unter Duldung des Arbeitgebers im Homeoffice arbeitet. Wie lange hier der Angestellte bereits im Homeoffice arbeiten muss, damit ein Anspruch darauf aus Betriebsübung besteht, ist hier allerdings vom Einzelfall abhängig. Ganze drei Jahre sind wohl nicht erforderlich, nur wenige Monate reichen aber auch nicht.
Formelles der betrieblichen Übung
Eine betriebliche Übung bleibt bei Betriebsübergang bestehen. Der Betriebsübergang, bei dem der Erwerber in die Rechte und Pflichten der Arbeitsverhältnisse eintritt, ändert an diesen also nichts. Die betriebliche Übung geht also mit über bzw. entsteht durch die Weitergewährung einer Leistung erneut.
Für die betriebliche Übung sah die Schriftformklausel (oder auch “doppelte Schriftformklausel”) vor, dass eine betriebliche Übung durch deren Aufnahme verhindert werden konnte. So eine Klausel lautete beispielsweise: “Änderungen und Ergänzungen des Vertrages bedürfen der Schriftform. Die doppelte Schriftformklausel für die betriebliche Übung beschrieb dann, dass auch eine Aufhebung der Schriftformklausel wiederum der Schriftform bedurfte. Diese Praxis hält allerdings seit dem Urteil des BAG vom 20. Mai 2008 (Az. 9 AZR 382/07) kaum einer richterlichen Überprüfung statt.
Besonderheiten für die betriebliche Übung im öffentlichen Dienst
Für den öffentlichen Dienst liegen die Voraussetzungen für die Annahme einer betrieblichen Übung höher. Dort dürfen Ausgaben nämlich nicht ohne eine Haushaltsermächtigung getätigt werden. Daher entsteht grundsätzlich nicht automatisch ein echter Anspruch aufgrund einer betrieblichen Übung. Sind Angestellte nicht sicher, ob eine betriebliche Übung begründet wurde, sollten sie eher davon ausgehen, dass dem nicht so ist. Im Zweifel wird angenommen, dass der Arbeitgeber die Leistung nur gewährte, weil er sich rechtstreu verhalten wollte. Das reicht nicht aus, um einen Anspruch aus betrieblicher Übung begründen zu können.
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